FLUX – Herwig Turk – Raum für Flüsse
Im Rahmen von FLUX – Aktionen und Untersuchungen entlang der Flüsse hat Lungomare den österreichischen Künstler Herwig Turk eingeladen, die Bozner Flusslandschaften künstlerisch zu erforschen. 2022 erkundete und untersuchte Herwig Turk fotografisch und filmisch die Umgebung, führte Gespräche mit Wissenschaftler*innen und Historiker*innen und dokumentierte damit die Flusslandschaft als ein komplexes System, das sich im ständigen Wandel befindet. Die Ergebnisse seiner interdisziplinären Arbeit bildeten 2023 die Grundlage für die Ausstellung Raum für Flüsse im ehemaligen Wasserkraftwerk
Nachdem sich der österreichische Künstler Herwig Turk mit seinem Schaffen bereits eingehend mit dem Tagliamento im Friaul und der Donau in Wien beschäftigt hatte, wendete er nun die für ihn typische transdisziplinäre, dokumentarische Herangehensweise an den Bozner Flüssen an. Im Austausch mit Biolog*innen, Historiker*innen, Wissenschaftler*innen, Biomediziner*innen und Wasserökologen*innen und ihrer Texte, ihrer Bilder und der Beziehung, die der Künstler zu ihnen aufgebaut hat, produzieren andere Wissensformen seine Arbeit und die Ausstellung mit.
Es entsteht das Bild eines dynamischen Flussökosystems, das viele Lebensformen reguliert: die Kreisläufe des Grundwassers, das unterirdisch in die Ströme fließt, die Luft und die Feuchtigkeit in 20 Metern über dem Wasserspiegel, die Wechselwirkung mit den angrenzenden Gebieten, die Pflanzen, die Sand- und Kiesbänke, die organische Materie, die sich dort ablagert. Die in der Ausstellung präsentierte Installation verfolgt diese Forschung zurück, die mithilfe von Durchquerungen, Untersuchungen, Dokumentationen, Interviews und Aufnahmen in enger Beziehung zum Raum durchgeführt wurde. Sie schichtet Fragmente und Materialien, die untereinander in Dialog treten, vermischt dabei Gegebenes, Zeiten und Visionen und konstruiert so eine Vorstellungswelt aus Erinnerung und Projektion, das heißt eine „andere“, schwebende, immer im Entstehen begriffene Landschaft. So wird deutlich, dass der Mensch über die Jahrhunderte durch sein Handeln mit Begradigungen, Regulierungen und Umleitungen, durch die er mit der Zeit seine Beziehung zu den Flüssen in den Städten verloren hat, in das Leben oder besser in die vielen Lebensformen, die den Fluss bevölkern, eingegriffen hat. Auch als Reaktion darauf fordert der Künstler einen Raum für Flüsse, der notwendig ist, um ihren Rechtsstatus und ihre Rechtsfähigkeit innerhalb einer inklusiven Umwelt- und Sozialordnung anzuerkennen.
Gleichzeitig ist Raum für Flüsse ein Projekt, bei dem die Kunst zu einem Untersuchungsfeld wird, um verborgene Diskurse sichtbar zu machen. So ist auch das ehemalige Wasserkraftwerk Rendlstain, das für die Installation ausgewählt wurde, Teil der Reflexion über einen
bedeutungsvollen, wenngleich fast „unsichtbaren“ Ort mit vielfältigen und komplexen Bezügen zur Gesellschafts-, Industrie- und Produktionsgeschichte der Stadt.
Begleitet wurde die Ausstellung von einem öffentlichen Programm, bestehend aus Ausstellungsrundgängen mit dem Künstler sowie drei Flussbegehungen mit Expert*innen, die dazu einluden, neue Perspektiven auf die Flusslandschaften einzunehmen und ihren komplexen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen.
Die Expert*innen
Roberta Bottarin (Biologin, und Vize-Direktorin Eurac Research)
Peter Hecher (Biologe, Agentur für Bevölkerungsschutz)
Hannes Obermair (Historiker, Eurac Research)
Gianluca Rigobello (Fischer)
Stefan Zerbe (Wasserökologe, Professor in der Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften, Unibz)
“Flüsse sind vitale, wandelbare und dynamische Netzwerke, in denen sich unsere Gesellschaftsformen und Wirtschaftsweisen widerspiegeln. Obwohl Flüsse über Jahrtausende Landschaften geprägt haben und Grundlagen für menschliches und mehr-als-menschliches Überleben bereitgestellt haben, setzt mit der Industrialisierung in der westlichen Welt eine umgekehrte Dynamik ein, in der die Menschen mittels Technologie die Flüsse formen und zähmen. […] In meinen Bildern und Videos versuche ich Muster zu erkennen, die auf Veränderungen und Verflechtungen zwischen menschlicher Aktivität und Flüssen hinweisen: Spuren in der Landschaft, Bewegungen des Wassers, Unterschiede in Ufern und Strömungen. Skizzen von Wasserbauprojekten, Landkarten und Höhenmodellen begegnen Steinen und Schottersorten, die Flussmodelle nachahmen. Die erklärenden und beschwörenden Stimmen von Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen tauchen immer wieder auf und vermischen sich mit den Bildern, erzeugen Perspektiven und Ansätze für die Verbesserungen der Flüsse. Doch meine Kunst stellt keine Idylle her und ist auch keine einfache Auflösung komplexer Problemstellungen.”
Herwig Turk im Gespräch mit den Kurator*innen des Projekts
Samstag, 13.05.2023
15:00 Uhr
Ausstellungsrundgang mit dem Künstler Herwig Turk
17:00 Uhr
Die Flussbegehung I: Die Stadt neu denken mit Waltraud Kofler-Engl (Kunsthistorikerin, Unibz), David Hofmann (Neurowissenschaftler und Klimaaktivist) wirft die Frage auf, welche Rolle Flüsse in der Entwicklung unserer modernen Städte gespielt haben und wie sie auch in Zukunft unsere Umwelt und unser Zusammenleben formen werden.
Donnerstag, 25.05.2023
18:00 Uhr
Ausstellungsrundgang mit dem Künstler Herwig Turk
18:30 Uhr
Die Flussbegehung II: Stoffwechselstörungen zwischen Stadt und Fluss mit Peter Hecher (Biologe, Agentur für Bevölkerungsschutz) und Roberta Bottarin (Ökologin, Vize-Direktorin Eurac Research) bietet die Gelegenheit, unser Bewusstsein für den Fluss als Ökosystem zu schärfen und die Vorteile einer natürlichen Flusslandschaft verstehen zu lernen.
Freitag, 26.05.2023
18:00 Uhr
Die Flussbegehung III: Den Fluss bewohnen lenkt die Aufmerksamkeit auf die politische Rolle, die der Flussraum in unserer Gesellschaft hat. Die Soziologin Ermira Kola (Alexander Langer Stiftung) und Street-Workerin Diana Seyffarth (Volontarius) thematisieren den offenen, aber oft unsichtbaren Konflikt zwischen Politik und sozialer Fragilität, Wohnrecht und menschenfeindlicher Architektur. Wir erhalten einen Einblick in die ständige Neudefinition der Bedingungen für eine Koexistenz zwischen dem urbanen Kontext und jenen Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Herwig Turk lebt und arbeitet in Wien und Lissabon. Seine Projekte kreieren Berührungspunkte im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Von 2010 bis 2013 war er „Artist in Residence“ am IMM (Instituto da Medicina Molecular), Lissabon. Von 2003 bis 2009 arbeitet Turk mit Paulo Pereira, dem Leiter der ophthalmologischen Abteilung von IBILI (Institute for Biomediacal Imaging and Life Sciences, Coimbra), zusammen. In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten unter anderem im MMKK Museum Moderner Kunst Kärnten in Klagenfurt, im MAK Museum für angewandte Kunst in Wien, im Seoul Museum of Art in Südkorea, im Neues Museum Weserburg in Bremen, im TESLA Labor für Medienkunst in Berlin, in der Galerie Georg Kargl in Wien und bei der Transmediale in Berlin gezeigt. Seit 2014 unterrichtet er als Senior Artist in der Abteilung Social Design an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Jahr
2022–2023